Wenn die bunten Fasern klingen
"Man kann diese Fasern wirklich hören", erklärt Noémie Chocat, Ko-Autorin und Materialforscherin am Massachusetts Institute of Technology (MIT), "wenn man sie in bei hörbaren Frequenzen zum Vibrieren bringt und dicht ans Ohr hält, könnte man tatsächlich verschiedene Noten oder Töne herauskommen hören." Sie gehört zum Team um Yoel Fink, dessen erklärtes Ziel in der Vielseitigkeit optischer Fasern liegt. Schon zuvor hatte sein Team wärme- und lichtempfindliche Substanzen eingearbeitet. Seine neuen Fasern reagieren auf Druck, sind aber im Gegensatz zu anderen piezoelektrischen Elementen sehr biegsam. Im ersten Schritt galt es, eine sinnvolle Abfolge der Hüllschichten zu finden, um die Fasern druckempfindlich zu gestalten, im zweiten Schritt musste diese Schichtung und ihre innere Geometrie auch dann erhalten bleiben, wenn der 40 Millimeter dicke Faser-Rohling - wie in der Industrie üblich - erhitzt und gedehnt, zu Nanometer feinen, Kilometer langen Fasern gezogen wird.
Um einen zentralen Lichtwellenleiter aus Polykarbonat liegt eine Schicht eines piezoelektrischer Kunststoff namens Poly(Vinyliden-Fluorid-Trifluoroethen)-Copolymer [P(VDF-TrFE)], der in Mikrofonen zum Einsatz kommt. Durch seine asymmetrisch angeordneten Fluor- und Wasserstoff-Atome reagiert er auf Druck und reagiert andererseits mit veränderter Dicke, wenn ein elektrisches Feld angelegt wird. Auf beiden Seiten dieser Schicht liegt eine dünne Lage Strom leitenden, Grafit haltigen Polymers (CPC), die auch für Stabilität sorgt. Als Außenschicht folgt wieder einfaches Polykarbonat. Sowohl hier als auch in der innersten Schicht ist eine schmale Indium-Elektrode eingearbeitet, die jeweils auf dem CPC aufliegen. Mit ihrer Hilfe lassen sich elektrische Impulse in die Piezoschicht senden, aber auch deren Signale auffangen und ausleiten.
Unter Laborbedingungen gelang Finks Team, diese Materialschichtung beim Dehnen - und damit Schrumpfen des Durchmessers um mehrere Größenordnungen - stabil und gleichmäßig zu erhalten. In Tests bestätigten sich die erwarteten akustischen und piezoelektrischen Eigenschaften der optischen Faser, im Frequenzbereich von Kilohertz- bis Megahertz. Da der Kern der Faser ein Lichtwellenleiter ist, lassen sich mit jeder Stauchung oder Ausdehnung der Piezoschicht auch die durchlaufenden optischen Wellen beeinflussen.
Naheliegende Anwendungen sind aber solche, bei denen ein Gewebe auf Druck oder Schallwellen von außen reagiert: etwa in Patienten-Hemden, die hörbare Vitalfunktionen überwachen, wie Herzschlag oder Pumpgeräusche in den Gefäßen; denkbar ist sogar ein Einsatz einzelner Fasern innerhalb von feinen Blutgefäßen oder im Hirn, um dort Druckschwankungen zu überwachen. Auf technischer Ebene könnten die Fasern auftreffenden Lärm in elektrischen Strom umwandeln, eine Art akustischer "Solarzelle". In Teppichen würden sie Einbrüche melden oder gestürzte Senioren; dem Spion könnten sie als unauffälliges Abhörgewebe dienen und der Unterhaltungsindustrie als tönende Shirts, mit Lichteffekten. Bevor solche Anwendungen allerdings marktfähig würden, sind weitere Entwicklungen und die Umsetzung des Produktionsprozesses auf den industriellen Maßstab nötig.