Gehirn unterscheidet zwischen mathematischen und enzyklopädischen Zahlen

London (Großbritannien) - Der moderne Mensch in den Industriegesellschaften wird von Zahlen beherrscht. Nicht allein, dass er für Behörden und Banken oft nicht mehr als eine Nummer ist - er selbst verarbeitet ständig Zahlen. Doch Zahlen sind für das Gehirn nicht gleich Zahlen, wie jetzt ein Forscherteam in Großbritannien herausgefunden hat: Es gibt Zahlen, mit denen der Mensch rechnet. Und es gibt Zahlen, die Wissenseinheiten darstellen, wie etwa "333 - bei Issos Keilerei" oder "1234 - meine PIN". Durch einen Patienten mit einer besonderen Hirnverletzung gelangten die Forscher jetzt zu der Erkenntnis, dass die mathematischen Zahlen vom Gehirn in einer anderen Gehirnregion verarbeitet werden als die enzyklopädischen Zahlen. Wie sie in der Fachzeitschrift "Cortex" beschreiben, hatte die Hirnverletzung bei dem Patienten bewirkt, dass er sein enzyklopädisches Zahlengedächtnis verloren hatte. Er kann aber weiterhin rechnen. Zwanzig plus vier sind für ihn also immer noch vierundzwanzig. Aber der 24. Dezember ist für ihn nicht mehr Heiligabend.

Die Forscher schätzen, dass der Mensch pro Stunde mit etwa 1000 Zahlen umgeht. Bei Menschen, die in Zahlenberufen arbeiten wie Bankkaufleute, Finanzbeamte oder Steuerberater, sind es noch weitaus mehr. Dabei ist es nicht so, dass der moderne Mensch pausenlos rechnet. Aber er hat ein eindeutig in Zahlen ausdrückbares Geburtsdatum, er hat eine Telefonnummer, eine Kontonummer, eine PIN, vielleicht eine Liste mit TANs. Er schreibt Datumsangaben, Uhrzeitangaben, Geldbeträge, kauft sich eine 501er Jeans in Größe 30/34, hat Dienstzimmer 311 und fährt mit Bus 234 zur Arbeit.

Der Patient, den das Team um Marinella Cappelletti vom University College London untersuchen konnte, leidet unter einer links-temporalen Dysfunktion, verbunden mit einer Temporallappen-Epilepsie. Dies bewirkte den Verlust seines Zahlenwissens, nicht aber den Verlust seiner Rechenfähigkeit. Der Fall dieses Patienten ist bisher einzigartig. Denn in anderen Fällen, wo es um den Verlust von Zahlenkenntnissen ging, konnten die Patienten nicht mehr rechnen, kannten aber durchaus noch ihr Geburtsdatum oder ihre Kontonummer. Der aktuelle Fall erhärtet den Verdacht, dass das Gehirn sehr strikt unterscheidet zwischen mathematischen und enzyklopädischen Zahlen.

University College London
Quelle: "A case of selective impairment of encyclopaedic numerical knowledge or 'when December 25th is no longer Christmas day, but '20 + 5' is still 25'", Marinella Cappelletti, Ashok Jansari, Michael Kopelman and Brian Butterworth, Cortex, Vol 44 (3), 2008, S. 325-336


 

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