Wie der Wal auf den Einheitszahn kam

Studie demonstriert auf eindrucksvolle Weise, wie eine relativ kleine Veränderung in der Entwicklung einen großen Einfluss auf die Evolution der Wale hatte
Kiefer von Hausmaus (Mus musculus, A), Wildschwein (Sus scrofa, B) und Schlankdelfin (Stenella attenuata, C)
Kiefer von Hausmaus (Mus musculus, A), Wildschwein (Sus scrofa, B) und Schlankdelfin (Stenella attenuata, C)
© Armfield et al.
Rootstown (USA) - Wale sind Säugetiere. Zahlreiche Merkmale sind bei den Meeressäugern allerdings so gar nicht mehr säugetiertypisch, da der Weg zurück ins Wasser einiges massiv verändert hat: Schwanzflosse statt Hinterbeine, kein Fell und sogar die Zähne sind anders. Nicht alle Wale besitzen Zähne. Doch bei denjenigen, die Zähne haben, lassen sie sich nicht – wie bei den meisten anderen Säugern – in vier unterschiedliche Typen klassifizieren, nämlich in Schneide-, Eck- sowie vordere und hintere Backenzähne. Vielmehr sind sie im gesamten Kiefer einheitlich zapfenförmig. Wie sich diese Einheitszähne im Laufe der Evolution entwickelt haben, dem sind Wissenschaftler aus den USA und Indien nun auf den Grund gegangen. Ihre Analysen der Fossilien früher Walarten sowie der Embryonalentwicklung der Zähne bei Schweinen und Delfinen schildern sie im Fachblatt „PeerJ“. Entscheidend am Entwicklungsprozess beteiligt ist ihren Ergebnissen zufolge die genetische Kontrolle zweier bestimmter Eiweiße, die bei der Ausbildung der Zahnform eine zentrale Rolle spielen. Ihre Verteilung im Kiefer ist bei Walen anders als bei gewöhnlichen Säugern, was die einheitliche Ausbildung der Zähne bewirkt.

„Die bei Walen gefundene simple örtliche Verschiebung von zwei Proteinen, die die Zahnform beeinflussen, könnte uns helfen, besser zu verstehen, wie Säugetiere erst einmal ihre komplexen Zähne entwickelt haben, erläutert Erstautorin Brooke A. Armfield von der Northeast Ohio Medical University in Rootstown. „Es ist spannend, eine molekulare Veränderung zu identifizieren, die in der Natur vorkommt und so dramatisch die Art und Weise beeinflusst, wie ein Säugetier erfolgreich die Ozeane bevölkern kann, und dann die Evolution dieser Veränderung in der fossilen Überlieferung zu verfolgen.“ Die Forscher hatten anhand von Fossilien untersucht, wann sich bei Walen im Laufe der Evolution die einfachen Zähne entwickelten. Fossile Fundstücke belegen, dass Wale vor etwa 48 Millionen Jahren noch die gleichen vier Zahntypen besaßen wie die meisten anderen Säuger. Nach und nach wurden die Zähne zunehmend einfacher und erreichten vor rund 30 Millionen Jahren ihre zapfenartige Einheitsform. Das war, nachdem sie bereits eine Reihe von anderen Anpassungen an das Leben im Wasser ausgebildet hatten.

In weiteren Untersuchungen widmeten sich Armfield und ihre Kollegen Details in der Embryonalentwicklung von Zähnen. Sie beobachteten bei den Embryos von Schweinen, die Verwandte von Walen sind, und Delfinen, die zu den Zahnwalen gehören, wie die Form der Zähne entsteht. Besonderes Augenmerk legten sie dabei auf zwei Proteine, die dabei eine zentrale Rolle spielen: Bmp4 und Fgf8. Bmp4 lässt Zähne zu einfachen Stiften werden und wird bei den meisten Säugetieren in Zellen im vorderen Teil des Kiefers ausgebildet, wo die Schneidezähne liegen. Fgf8 dagegen sorgt dafür, dass Backenzähne mit ihren typischen Hügeln und Tälern entstehen, und wird im hinteren Teil des Kiefers ausgebildet. Bei Schweinen, so ergab das Studium der Embryonalentwicklung, ist die Verteilung dieser beiden Eiweiße in den Zellen des Kiefers genau so wie bei anderen Säugetieren. Bei Delfinen aber ist das anders. Hier wird Bmp4 im kompletten Kiefer erzeugt. Dadurch, so vermuten die Forscher, sind die Zähne im kompletten Kiefer ähnlich, in einfacher Zapfenform. „Dies zeigt, dass große Veränderungen im Aufbau eines Tieres aus kleinen Veränderungen in der frühen Entwicklung entstehen können, indem einfach die Region verschoben wird, in der ein bereits existierendes Protein vorkommt“, erklärt Seniorautor J.G.M. ‘Hans’ Thewissen. „Das ist ein wundervolles, detailreiches Beispiel für eine kleine Veränderung in der Entwicklung mit einem großen Effekt für die Evolution.“

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